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Du hast die Wahl, Fisch! - Thierry Tidrow im Interview

Was bedeutet es, wenn du für Kinder und Jugendliche schreibst? Schreibst du anders? Wie nimmst du auf sie Bezug?

Thierry Tidrow Erstens denke ich immer an die Aufmerksamkeitsspanne. Ich habe selbst eine begrenzte Aufmerksamkeitsspanne, was in der Oper sehr schnell zu einer Schwierigkeit führen kann! Für mich ist es wichtig, dass die Kinder immer dran sind, was natürlich auch für Erwachsene gilt. Aber ich glaube, es ist eine Grundeigenschaft meiner Musik, dass sie auch sehr gut zu Kindern und Jugendlichen spricht. Zauber ist mir auch wichtig: oder zumindest dieses Gefühl von Verausgabung von allem, was Musik sein kann. Ein Enthusiasmus über die Vielfalt von Klangpotenzialen und der Wunsch, alles zu zeigen, was Musik sein kann! Und wie diese große Bandbreite von Klängen, Harmonien und Geräuschen eine Geschichte wunderbar erzählen kann.

Man spürt in den Proben sehr stark, dass ihr alle drei – Carsten Brandau als Autor, du als Komponist, Sara als Regisseurin – eine sinnliche, spielerische, farbige, akrobatische, teilweise auch slapstickhafte Welt geschaffen habt. Aus der Sprache heraus ist ein Universum von Farben und Rhythmen entstanden.

Mir ist sehr wichtig, nicht gegen, sondern mit dem Text zu arbeiten. Mir ist die Prosodie sehr wichtig, also wie die Figuren sprechen und welche melodische Geste daraus resultiert. Ich habe Deutsch zuerst als Melodie wahrgenommen. Wenn man eine neue Sprache lernt, hört man die Klänge und die Melodien, unabhängig von den Bedeutungen. Man hört die Intonation und die Artikulationen. Ich liebe all die verschiedenen Konsonanten der deutschen Sprache und wie sie die Vokale umrahmen! Und ausgehend vom schönen Umriss der Sprache erfinde ich Melodien, die deren natürliche Züge anzeichnen, mit einer humorvollen Übertreibung, die jedoch die Textverständlichkeit erhöht. Gerade bei Kindern will ich, dass sie alles verstehen!

Die Sprache des Stückes ist schon eine sehr musikalische, eine sehr rhythmisierte, sehr poetische. So entstand in der Dramaturgie die Idee, ob es nicht ein tolles Libretto sein könnte.

Du hast Slapstick genannt, man kann auch von Running Gags sprechen. Und mit gutem Slapstick lassen sich sehr tragische Dinge erzählen. Die Balance zwischen Heiterkeit und Drama ist, was mich am meisten interessiert.

Ich bemerke, dass Sara auf Dinge reagiert, die du musikalisch ermöglicht oder angeschoben hast. Möchtest du noch ein bisschen erzählen, wie du die Bälle, die Carsten Brandau dir zugespielt hat, musikalisch zurückspielst?

Diese Liebe und Freundschaft von DU und ICH habe ich als harmonisch klingende Terzen konzipiert. Diese große Terz verwandelt sich ganz natürlich in verschiedene Leitmotive. Sie ist der Grundstein, der Keim ihrer musikalischen Welt.

Und dann gibt’s auch eine Terzverwirrung, ähnlich wie in der Sprache.

Genau. Es gibt diese Verwirrung von »wer ist ICH und wer ist DU«: ein Spiel von springenden großen Terzen, sodass man nicht mehr weiß, in welcher Tonart man sich befindet. Es gibt viel Tonalität, aber eben ohne die Quinte, die die Harmonik stabilisieren und konkretisieren würde. Das war meine Überlegung. Die beiden haben eine Verbindung miteinander, ohne dass sich ihre Situation stabilisiert. Ich sage gerne, dass ich ein Hypermadrigalist bin. Alles stammt direkt aus der Sprache und ich baue musikalische Welten mit dem, was im Text geschieht. DU und ICH wissen nicht, dass sie Musiker*innen sind, denn es ist etwas ihnen inhärentes. Und deshalb ist ihr Orchester das Grabenorchester, das man nicht sieht. Es ist einfach Teil von ihnen, es ist die Welt, die sie ganz unbefragt bewohnen. NOE ist eine viel künstlichere Gestalt, deshalb sind die Klänge auch mal verstärkt und insgesamt weniger flüssig, viel perkussiver, verfestigt. Es gibt eine Eckigkeit und eine Sprödigkeit in seinem Gestus, der widerspiegelt, wer er ist. Er taucht einfach auf und bestimmt, was erlaubt ist, und letztendlich, wer leben darf und wer nicht leben darf.

Und was Musik ist und was keine ist.

Genau, ja. Die Dringlichkeit der Themen ist mir ebenfalls wichtig. Wir wohnen in einer Welt, auf der es sehr viele Exemplare von NOE gibt. Und schon im Text erzählt NOE von seiner Rockband. Die tritt bei uns in der Oper als Bühnenorchester wirklich auf! NOE sucht ja Pärchen von Instrumenten: Daher zwei Trompeten, zwei Posaunen (die Blechbläser deuten auch die Apokalypse an), E-Gitarre und E-Bass. Und Synthesizer und Schlagzeug könnten das Cockpit und der Motor des Raumschiffes sein. Ich möchte den Kindern auch … nicht moralische, aber doch ethische Fragen stellen. Das ist etwas, was ich machen muss, das ist ein Imperativ für mich selbst als Komponist. Dass die Kinder sich Fragen stellen, auch politische. Also nicht nur Bühnenzauber.

Es gibt ja Kindertheater, wo man eher das Gefühl hat, es geht um das Bedienen eines sentimentalen Erwachsenengeschmacks, der vielleicht gar nicht unbedingt den Fragen und Interessen jüngerer Generationen entspricht. Gerade in der Frage, was Musik sein soll und was nicht. Und sehr oft erlebt man in den Institutionen, dass entschieden wird, was kindergerecht ist und was nicht. Das ist Bevormundung, sicher mit den besten Absichten, aber mit oft zweifelhaftem Ergebnis. Gibt es sonst noch etwas wichtiges, das du gerne erzählen möchtest?

Wie schon erwähnt, sehe ich mich ein bisschen als Hypermadrigalist. Ich möchte Geschichten erzählen, und ich nutze alles, was ich in meinem Werkzeugkasten habe. Deswegen gibt es ein paar Takte, die klingen wie Berg oder Händel oder Elvis oder Xenakis oder Prokofjew. Es gibt ein paar Takte, die klingen wie Musik für ein Videospiel, zum Beispiel die Auftrittsmusik der Band.