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Über das Tangieren anderer Warnehmungshorizonte

Liebe Sara, du hast viel Erfahrung in der szenischen Arbeit mit Sänger*innen, auch und gerade im Zusammenhang mit Musiktheater-Uraufführungen. Der Umgang mit einer fertigen Partitur ist kein Novum für dich, und mit Musik arbeitest du sowieso immer. Kanntest du die Stückvorlage für Sagt der Walfisch zum Thunfisch von Carsten Brandau? Ist es dir vorher schon einmal als Schauspiel begegnet?

Sara Ostertag Ich wusste um das Stück, hatte aber noch keine Aufführung gesehen.

Worin liegen Reiz und Herausforderung für dich?

Was ich mag, ist die sprachliche Ebene, also die Sprachspielereien. Die finde ich sehr schön. Und ich mag die Entpersonifizierung der Figuren. Damit meine ich, dass sie nicht definiert sind über eine festgeschriebene Identität. Und auch die philosophischen Untergedanken des Stückes mag ich gern.

Das Stück hat ausgesprochenen Parabelcharakter. NOEs Arche ist auch ein Theater, oder? Was ja auch insofern schön ist, als du mit dieser Inszenierung unsere neue Spielstätte eröffnest. Kannst du noch ein paar Worte mehr dazu sagen, welche philosophische Ebene du entdeckst?

Es geht um die Frage, wie man sich selbst über ein Außen definiert. Also um die Abgrenzung zwischen dem, der ich bin oder der ich sein will, und dem, der mein Gegenüber ist, und welche Annahmen mein Gegenüber hat darüber, wer ich bin oder eben nicht bin. Solche Zuschreibungen gibt es bei Kindern gerade im Alter der adressierten Altersgruppe viele, gerade, wenn’s um Geschlecht oder Elternsprachlichkeit geht. Viele identitätspolitische Fragen stellen sich schon bei Sechsjährigen. Und genau das wird hier auf einer abstrakten Ebene verhandelt, was ich sehr spannend finde.

»Viele identitätspolitische Fragen stellen sich schon bei Sechsjährigen. Und genau das wird hier auf einer abstrakten Ebene verhandelt, was ich sehr spannend finde.«

Und zugleich auf einer extrem spielerischen und körperlichen Ebene.

Auch der Ort ist nicht ausdefiniert. Es sind offene Identitäten und es sind offene Spielräume. Dadurch kann man die Spielvorgänge und die Spielweisen sehr stark selber definieren.

Du übersetzt Brandaus Sprachspiele in körperliche Energie und choreographische, fast slapstickhafte Momente, von denen ich glaube, dass nicht nur, aber besonders auch Kinder und Jugendliche extrem gut drauf einsteigen können. Es gab im Vorfeld dieses Projekts auch Bedenken, ob dieses Sprach-Ping-Pong nicht zu abstrakt sein könnte…

Das Stück unterscheidet sich vom klassischen deutschen Jugendstück, das wir auch gern Problemstück nennen. Stücke, die in den 90ern viel gemacht wurden und für die es bestimmte Häuser gab, zum Beispiel das Berliner Grips-Theater: Stücke, die auch gesellschaftspolitisch sehr stark einen Punkt machen. Hier geht es eher um ein spielerisches Jonglieren – mit Sprache, mit Identitäten, mit Räumen…

Wie geht es dir mit seiner Musik?

Er ist ein sehr interessanter Komponist, weil er sich auch über den theatralen Raum Gedanken macht. Und er versteht auch sehr viel von Humor. Und ich finde gut, dass er mit einem hohen Komplexitätsanspruch an die Musik geht. Das finde ich sowohl für die Musiker*innen wichtig, als auch zum Zuhören. Musik mit dieser Art von Komplexität entwickelt eine eigene Spannung. Den Unterschied hört man einfach. Das finde ich besonders wichtig bei einem Musiktheater für junges Publikum.

Wenn man dir jetzt so zuhört, hat man das Gefühl, dass du in der Arbeit an diesem Stück auch die Dinge thematisieren kannst, die dich als Erwachsene beschäftigen. Ich habe das Gefühl, du hast da keine Schere im Kopf.

Nein. Es wäre ja absurd, wenn ich sagen würde, ich kreiere etwas, das für mich selbst nicht interessant ist. Das würde keinen Sinn machen. Ich muss etwas machen, das für mich interessant ist, von dem ich aber möchte, dass die Arbeit auch zu jemandem sprechen kann, der nicht meinen Wahrnehmungshorizont teilt. Ich denke an Personen, die einfach wesentlich jünger sind als ich, das können aber auch Personen sein, die nicht sehen oder hören können.